Türkische Nationalmannschaft bei der EM: Die zweite Heimmannschaft schwankt zwischen Gala und Debakel (2024)

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Türkische Nationalmannschaft bei der EM: Die zweite Heimmannschaft schwankt zwischen Gala und Debakel (1)

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Der Ort in Niedersachsen könnte passender nicht sein. Die türkische Nationalmannschaft weilt während der EM in der prestigeträchtigen Sportschule Barsinghausen, dem einstigen Lieblingsdomizil von Deutschlands Weltmeistertrainer Sepp Herberger. Und eines von dessen Bonmots scheint vollkommen auf die Türkei zuzutreffen: »Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.«

Bei der türkischen Elf können die Leute wirklich nicht sicher sein, was als Nächstes passiert. Im November besiegte das Team Deutschland in Berlin eindrucksvoll 3:2, im März kassierte es nicht nur eine Pleite gegen die Ungarn, sondern auch eine deftige 1:6-Klatsche in Österreich. Einerseits schlug die Mannschaft in der Qualifikation auswärts die als EM-Geheimtipp gehandelten Kroaten und wurde Erster der Gruppe. Andererseits haben die Türken in diesem Jahr noch kein einziges Spiel gewonnen.

Stefan Kuntz, von 2021 bis Herbst 2023 Nationaltrainer der Türkei, erklärt das so: »Die Emotionalität der Mannschaft kann gleichzeitig Stärke und Schwäche sein. Sie können sich in einen Rausch spielen, aber haben auch immer wieder Schwierigkeiten mit Widerständen.«

Die Defensive ist der türkische Schwachpunkt

Die Liste der Unwägbarkeiten ist also lang vor dem ersten Spiel am Abend (18 Uhr, TV: RTL und Magenta) in Dortmund gegen Georgien, zu dem Zehntausende türkische Fans erwartet werden. Mit 2,9 Millionen türkischstämmigen Menschen hierzulande gilt die Elf als so etwas wie die zweite Heimmannschaft des Turniers. In den sozialen Medien gibt es bereits erste Videobelege, was Dortmund zu erwarten hat.

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Aus sportlicher Sicht gibt es nicht nur gute Nachrichten, da wäre zunächst einmal die Defensive, in der zwei Bekannte aus der Bundesliga schmerzlich vermisst werden: Çağlar Söyüncu, einst Verteidiger-Talent in Freiburg, und Ozan Kabak von der TSG Hoffenheim fallen mit Verletzungen aus. Bei der Generalprobe ohne die beiden patzte in Polen Innenverteidiger Samet Akaydin. Die Türkei verlor 1:2. Bei beiden Gegentreffern brachten einfache lange Bälle hinter die Kette ihre Abwehr aus der Balance.

Lehrgeld musste das Team zudem im Frühjahr in Österreich zahlen, als es vom »Rangnickschen Gegenpressing« überrumpelt wurde und gleich drei Strafstöße verursachte. »Die Defensive ist gerade nach den Ausfällen unser Schwachpunkt«, sagt auch Yildiray Baştürk, 49-facher türkischer Nationalspieler. Ab diesem Sommer soll er sich für den türkischen Verband um die Vermittlung von Fußballern mit türkischen Wurzeln in Deutschland kümmern.

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Schon jetzt streben einige Hochveranlagte im Kader zu höheren Weihen, die Türkei stellt den zweitjüngsten Kader von allen Teilnehmern. Womit gleich die nächste Variable aufkommt: Die »jungen Wilden« können mitunter unbekümmert drauflos spielen, allerdings stehen sie bei ihrem ersten großen Turnier vor Zehntausenden Fans gleich gehörig unter Druck. In einer Gruppe mit Portugal und Tschechien sollte gegen Außenseiter Georgien fürs Weiterkommen ein Sieg her – und gut möglich, dass zwei 19-Jährige den nötigen Schwung dafür bringen werden.

Güler einer wie Wirtz?

Offensivmann Arda Güler von Real Madrid sammelte bei den Königlichen nicht gerade viel Spielpraxis, wusste gegen Ende der Saison in Kurzeinsätzen mit sechs Toren aber zu gefallen. Im Test gegen Polen belebte er den Angriff nach seiner Einwechslung. »Er hat nicht so viele Saisonspiele bestritten, aber mein Gefühl sagt mir, dass er starten wird«, sagt Baştürk.

Ex-Coach Kuntz vergleicht Güler gar mit dem deutschen Edeltechniker Florian Wirtz. Das zweite Talent ist der in Regensburg geborene und bei den Bayern ausgebildete Kenan Yıldız, der beim Sieg in Deutschland mit einem fulminanten Spannstoß in den Winkel das zwischenzeitliche 2:1 erzielt hatte. Der Angreifer gehört zum Stammpersonal von Juventus in Italien.

Ein dritter Youngster wurde hingegen aus dem Aufgebot gestrichen, obwohl er sich Berichten zufolge jüngst auch aufgrund der EM-Einsatzchancen für die Türkei (und gegen Deutschland) entschieden hatte: Nürnbergs Shootingstar Can Uzun, der sich wohl Eintracht Frankfurt anschließen wird. Er machte denn auch aus seiner Enttäuschung keinen Hehl und schrieb bei Instagram: »Ich kann diese Entscheidung nicht nachvollziehen, aber ich werde sie respektieren.«

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Vielen der Talente hatte der ehemalige Nationaltrainer Kuntz zum ersten Einsatz für die Türkei verholfen. Er überzeugte beispielsweise den dynamischen linken Verteidiger Ferdi Kadıoğlu (U-Nationalspieler für die Niederlande) oder Dortmunds Salih Özcan (in der deutschen U-Auswahl), für die Türkei zu spielen. Kuntz zeichnete insgesamt für 22 Debütanten verantwortlich. Sein Punkteschnitt lag bei beachtlichen 1,95 Punkten pro Partie. Dennoch wurde er nach einer Testspielniederlage gegen Japan im September geschasst, weil der Verband die Qualifikation für die EM in Gefahr sah.

»Bei meiner Entlassung standen wir damals, bei noch zwei ausstehenden Spielen, punktgleich mit Kroatien vor der Qualifikation zur EM«, merkt Kuntz an. »Leider durfte ich nicht weitermachen – da wurde mir ein Traum und großes Ziel als Trainer genommen.« Es heißt, dass vor allem der neue türkische Verbandspräsident Mehmet Büyükekşi einen neuen Trainer präsentieren wollte. Die Unberechenbarkeit des türkischen Fußballs spiegelte sich in jenen Tagen wider, als der Verband erst eine Entlassung von Kuntz öffentlich dementierte – um sie zwei Tage später zu verkünden.

Montella hat die türkischen Herzen erobert

Ex-Nationalspieler Baştürk konnte die Entscheidung kontra Kuntz verstehen: »Punktetechnisch sah es gut aus, aber es war keine Entwicklung zu erkennen. Es mag gewagt gewirkt haben, aber der Erfolg hat dem Verband recht gegeben.« Die Türkei sicherte sich unter Kuntz-Nachfolger Vincenzo Montella durch Siege in Kroatien und daheim gegen Lettland das EM-Ticket.

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Der 49 Jahre alte Montella hat die Herzen der Türken nicht nur aufgrund seiner Zeit als Trainer bei Adana Demirspor erobert, sondern auch durch Besuche bei den Erdbebenopfern in der Provinz Hatay 2023. »Montella ist als Italiener nah dran an der türkischen Kultur. Er hat Warmherzigkeit vermittelt und kommt sympathisch rüber«, erzählt Baştürk. Auch Hüseyin Özkök, Fußballexperte beim Sender Aspor TV, sagt: »Montella hat frischen Wind und Spielfreude ins Team gebracht.« Aber: »Er trainiert zum ersten Mal eine Nationalmannschaft. Ich habe noch meine Bedenken, ob er die richtige Elf finden wird.«

Da ist also wieder die Einerseits-Andererseits-Problematik der Türkei.

Viel wird davon abhängen, wie der ehemalige Bundesliga-Profi Hakan Çalhanoğlu die jungen Spieler leiten und damit auch den Druck des »zweiten Gastgebers« abfedern wird. Çalhanoğlu gewann in diesem Jahr mit Inter Mailand die italienische Meisterschaft und gilt als unumstrittener Anführer. Im Nationalteam agiert er mittlerweile zurückgezogen auf der Sechs, verbal aber scheint er die Offensive weiterhin zu bevorzugen. »Unser Ziel ist es, den EM-Titel zu holen«, wurde er kürzlich zitiert.

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Das Vorhaben klingt auch aufgrund der Auslosung ambitioniert, weil die in der Qualifikation verlustpunktfreien Portugiesen in der Gruppe warten. Als Zweiter in der Gruppe F könnte die Türkei schon im Achtelfinale auf Frankreich oder die Niederlande treffen, als Dritter auf Spanien, Italien oder Kroatien.

Der frühere Nationaltrainer Kuntz glaubt an ein Weiterkommen in der Gruppe, sagt aber auch: »Das Portugal-Spiel wird nicht einmal das schwierigste, gegen Georgien ist der Druck da.« Jener von der türkischen Öffentlichkeit und Zehntausenden fanatischen Fans. Die spezielle Erwartung an die Mannschaft fasst Kuntz mit einer Begegnung zusammen: »Ein türkischer Geschäftsmann in meinem Ort sagte mir mal: ›Stefan, du musst uns nur einen Grund zum Hupen geben‹«.

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